Eine Pflichtteilsentziehung ist nur aus gutem Grund zulässig

Regelt eine Person ihren Nachlass und möchte ausschließen, dass bestimmte, dem Gesetz nach erbberechtigte Personen erben, besteht die Möglichkeit der Enterbung per Testament. Diese berührt jedoch nicht den Anspruch auf den Pflichtteil der Abkömmlinge, also der Kinder, Enkel und Urenkel, der verfassungsrechtlich geschützt ist und damit die Testierfreiheit eines Erblassers einschränkt. Eine rechtlich zulässige Pflichtteilsentziehung muss nach § 2333 Abs. 1 BGB in der letztwilligen Verfügung festgeschrieben sein und kann nur aus schwerwiegenden Gründen erfolgen.

Den Pflichtteil entziehen: Zulässige Gründe

Ein Erblasser kann qua Testament den Pflichtteil entziehen, wenn die Teilhabe des Pflichtteilsberechtigten am Nachlass für den Erblasser unzumutbar ist, weil einer oder mehrere der folgenden Gründe vorliegen. Die Pflichtteilsentziehung ist rechtens,

  1. wenn der Abkömmling gegenüber dem Erblasser, dem Ehegatten des Erblassers, einem anderen Abkömmling oder einer dem Erblasser ähnlich nahe stehenden Person einen Tötungsversuch unternommen hat,
  2. er sich eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen eine der zuvor genannten Personen schuldig macht,
  3. der Pflichtteilsberechtigte die ihm gesetzlich obliegende Pflicht zum Unterhalt gegenüber dem Erblasser böswillig verletzt oder
  4. er wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung rechtskräftig verurteilt wird. Gleiches gilt bei rechtskräftiger Anordnung der Unterbringung des Abkömmlings in einer psychiatrischen Klinik oder Entziehungseinrichtung aufgrund einer ähnlich zu wertenden Tat.

Alle genannten Gründe gelten entsprechend auch für den Pflichtteilsentzug gegenüber Eltern oder Ehegatten als Pflichtteilsberechtigte.

Figur Justizia beim Urteil Pflichtteilsentzug

Versuchter Pflichtteilsentzug: Urteil des LG Frankenthal vom 11. März 2021

Das Landgericht Frankenthal hatte darüber zu entscheiden, ob für eine wirksame Pflichtteilsentziehung durch letztwillige Verfügung eine ausreichend schwerwiegende Begründung vorlag (Aktenzeichen 8 O 308/20). Geklagt hatte der einzige Sohn einer verwitwet verstorbenen Erblasserin, die durch ein notariell beurkundetes Testament vom 11.10.2019 einen Verein als Alleinerben eingesetzt hatte. Die Höhe des für die Berechnung des Pflichtteils relevanten Nachlasses betrug 53.509,37 €.

Das Gericht sah keinen Grund für den Pflichtteilsentzug als erwiesen an, der die Teilhabe des pflichtteilsberechtigten Sohnes am Nachlass der Mutter für die Erblasserin unzumutbar gemacht hätte. Im Ergebnis wurde der Beklagte verurteilt, dem Kläger den gesetzlichen Pflichtteil in Höhe von 26.754,68 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 20.02.2021 zu zahlen.

Vorgeschichte zum gefällten Urteil

Der Vorfall, der als ausreichender Grund für die Pflichtteilsentziehung geltend gemacht werden sollte, ereignete sich am 06.12.1996. An diesem Tag kam es zwischen der Erblasserin und dem Kläger zu einer tätlichen Auseinandersetzung im Anwesen der Erblasserin, deren genauer Hergang allerdings streitig war: Zwar erstatteten beide beteiligten Parteien hiernach gegenseitig Strafanzeigen bei der Polizei, die daraus folgenden Ermittlungs- oder Strafverfahren wurden allerdings ohne nähere Klärung des Sachverhalts eingestellt. Sowohl die Erblasserin als auch der Kläger begaben sich nach der Auseinandersetzung in die Notaufnahme des Städtischen Krankenhauses, wo die jeweiligen Folgen des tätlichen Streits behandelt und attestiert werden sollten.

Am 08.04.1997 errichteten die Erblasserin und ihr Ehegatte, der Vater des Klägers, einen notariellen Erbvertrag. In diesem setzten sie sich gegenseitig zu alleinigen Erben und ihre Enkelin, die Tochter des Klägers, zu ihrer Schlusserbin ein. Dem Überlebenden war im Erbvertrag ausdrücklich vorbehalten, die Schlusserbenregelung — wie durch das oben genannte notarielle Testament vom 11.10.2019 erfolgt — zu widerrufen. Im Eingangsteil des Erbvertrags war vermerkt, dass das Ehepaar genanntes Anwesen mit notarieller Urkunde vom 08.06.1990 per Schenkung an den Kläger übertrug, sich derzeit jedoch wegen groben Undanks des Sohnes um die Rückübertragung der Immobilie bemüht.

Pflichtteilsentziehung im Erbvertrag

In Ziffer IV des Erbvertrags war unter „Pflichtteilsentzug“ Folgendes angeordnet:

“Jeder von uns entzieht hiermit unserem gemeinschaftlichen Sohn …, geboren am 07.07.1959, den Pflichtteil sowohl für den Fall des Erstversterbens als auch den des Letztversterbenden.
Am 06.12.1996 gegen 19:00 Uhr schlug unser Sohn … seine Mutter … mehrfach mit der flachen Hand ins Gesicht.
Der Vorfall ereignete sich im Anwesen … in ….
Infolge der Schläge traten bei Frau … Übelkeit und eine kurze Bewusstlosigkeit ein. Der behandelnde Arzt stellte später eine Schädelprellung fest.
Zum Nachweis des vorbezeichneten Geschehens ist dieser Urkunde die polizeiliche Bestätigung über die Erstattung einer Strafanzeige vom 08.12.1996 sowie das Attest des behandelnden Arztes vom 06.12.1996 als Anlage beigefügt.
Aufgrund des vorbezeichneten Vorfalles entzieht die Ehefrau ihrem Sohn den Pflichtteil gemäß § 2333 Nr. 2 erste Alternative BGB, der Ehemann seinem Sohn gemäß § 2333 Nr. 2 zweite Alternative BGB.“

Anlass der Klage

Mit der Klage auf Pflichtteilserfüllung sollte der beklagte Verein als der im Testament vom 11.10.2019 eingesetzte Alleinerbe zur Auszahlung des Pflichtteils gebracht werden. Hierzu trug der pflichtteilsberechtigte Kläger vor, dass der im notariellen Erbvertrag seiner Eltern vom 08.04.1997 angeordnete Pflichtteilsentzug mangels eines rechtfertigenden Grundes unwirksam sei. Der Vorfall vom 06.12.1996 sei im Erbvertrag falsch dargestellt worden. Er gab an, seine Mutter, die jetzige Erblasserin, niemals mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen zu haben. Vielmehr sei die Auseinandersetzung von der Erblasserin ausgegangen. Im Übrigen sei auch schon zuvor in einem gegen die Erblasserin geführten Pflichtteilsverfahren bei Ableben des Vaters festgestellt worden, dass kein Grund für eine schwere Pietätsverletzung im Sinne der Rechtsprechung vorliege und die Pflichtteilsentziehung somit nicht wirksam sei.

Sigel und Unterschrift vom Notar unter Beglaubigung für Pflichtteilsentziehung

Sicht des Beklagten

Aus Sicht des alleinerbenden Vereins als Beklagtem war der Entzug des Pflichtteils zulasten des Klägers wirksam. Hintergrund der Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und seinen Eltern, die zur Pflichtteilsentziehung führte, sei demnach gewesen, dass die Eltern einen hohen Kredit bei der Sparkasse aufgenommen hätten, um ihrem Sohn ein Architekturstudium zu finanzieren. Der Kläger habe sich jedoch als missratener Sohn erwiesen, das Studium heimlich abgebrochen und die ihm zur Verfügung gestellten Gelder „verprasst“. Da der Kläger die Beträge nicht zurückgezahlt habe oder habe zurückzahlen können, sei der von den Eltern aufgenommene Kredit seitens der Sparkasse fristlos gekündigt und das Anwesen der Familie daraufhin zwangsversteigert worden.

Dieser Umstand habe zu einem völlig Zerwürfnis zwischen dem Kläger und seinen Eltern geführt, woraus die im Erbvertrag angeordnete Pflichtteilsentziehung resultiere. Zum Beweis, dass sich der Vorfall wie im Erbvertrag geschildert zugetragen habe, beantragte der Beklagte die Vernehmung des damals protokollierenden Notars. Zum Beweis für die damals von der Erblasserin erlittenen Verletzungen erfolgte außerdem ein Antrag zur Beiziehung der Nachlassakte, in der sich das Attest befinde. Auch die Vernehmung des damals behandelnden Arztes wurde beantragt.

Urteil durch das Landgericht: Begründungen

Für die im vorliegenden Fall streitige Pflichtteilsentziehung galt aus Sicht des Landgerichts Frankenthal:

Nach § 2333 Nr. 2 BGB in der für Erbfälle seit dem 01.01.2020 gültigen Fassung genügt zwar auch eine leichte vorsätzliche körperliche Misshandlung als Begründung für die Entziehung des Pflichtteils. Jedoch muss zusätzlich eine schwere Pietätsverletzung oder eine „schwere Verletzung der dem Erblasser geschuldeten familiären Achtung“ erkennbar sein.

Zudem ist in höchstrichterlicher Rechtsprechung schließlich geklärt, dass der Wirksamkeit einer Pflichtteilsentziehung qua Testament nicht nur die Entziehungserklärung selbst, sondern gleichermaßen die Angabe eines zutreffenden Kernsachverhalts zur Begründung vorauszusetzen ist. Der dem Pflichtteilsentzug zugrunde liegende Vorfall ist also in die letztwillige Verfügung aufzunehmen. Nach Auffassung des Gerichts wird dieser Formvorschrift schon dadurch nicht Genüge getan, dass der Erblasser zum Grund der Pflichtteilsentziehung nur auf andere, der Testamentsform nicht entsprechende Erklärungen verweist.

Diesen Grundsätzen entsprechend, kann nicht von der Darstellung eines wirksamen Entziehungsgrundes im notariellen Erbvertrag der Eltern des Klägers vom 08.04.1997 ausgegangen werden, denn:
Weder wird der Hintergrund der dem Kläger im Erbvertrag zur Last gelegten körperlichen Misshandlung der Mutter genannt, noch gehen aus der Urkunde deren Folgen für die Erblasserin hervor. Für das Gericht ist es kaum nachvollziehbar, dass der genannte Vorfall allein für sich genommen für die Eltern des Klägers so schwerwiegend war, dass die Pflichtteilhabe des Sohnes am Nachlass unzumutbar war. Diese Einschätzung sieht das Gericht auch dadurch bestätigt, dass auch der Vater des Klägers den Vorfall zum Anlass genommen hat oder genommen haben will, dem Kläger ebenfalls den Pflichtteil zu entziehen. Aus Sicht des Landgerichts spricht alles dafür, dass die Eltern des Klägers den im notariellen Erbvertrag dargestellten Vorfall als Vorwand dafür nutzten, um dem Kläger aus einem anderen — für sie zwar wichtigen, dem Gesetz nach aber nicht relevanten — Grund den Pflichtteil zu entziehen.

Weiter ist anzuführen, dass der Antrag auf Klageabweisung des beklagten Vereins selbst dann nicht erfolgreich gewesen wäre, wenn der im Erbvertrag angeführte Grund für die Pflichtteilsentziehung als ausreichend erachtet würde. Die dem Kläger zur Last gelegten körperlichen Übergriffe können schlicht nicht festgestellt werden. Gemäß § 2333 Abs. 3 BGB obliegt der Beweis des Grundes jedoch demjenigen, der die Entziehung des Pflichtteils geltend macht — hier also dem Verein als Beklagten.

Es gilt, dass allein die Tatsache, dass Testierende in ihrem Testament einen Sachverhalt beschreiben und dem beurkundenden Notar mitteilen, nicht beweist, dass sich dieser Sachverhalt auch tatsächlich so zugetragen hat. Zwar muss der Grund für eine Pflichtteilsentziehung in der letztwilligen Verfügung genannt, zusätzlich aber auch nachgewiesen werden. Insgesamt waren die durch den Beklagten vorgelegten Beweismittel bei weitem nicht ausreichend, um den ihm nach § 2336 Abs. 3 BGB obliegenden Vollbeweis zu führen. Auch Vernehmungen des damals beurkundenden Notars sowie des behandelnden Arztes hätten daran nichts geändert, da auch damit nur die Aussagen der Eltern, nicht aber deren Wahrheitsgehalt bestätigt werden können.

Pflichtteilsentzug: Mit juristischem Beistand rechtssicher agieren

Rechtsanwalt Pillig hilft bei Fragen zum PflichtteilsentzugDieses und weitere Urteile zum Erbrecht zeigen: Solche Verfahren sind häufig kompliziert und erfordern ein tiefgehendes Verständnis geltender gesetzlicher Bestimmungen. Droht auch Ihnen eine Pflichtteilsentziehung, gegen die Sie vorgehen möchten, oder beabsichtigen Sie selbst, einem Ihrer Abkömmlinge den Pflichtteil zu entziehen, ist daher die Unterstützung eines fachkundigen Juristen von Vorteil. Als erfahrener Anwalt fürs Erbrecht in Berlin betreue ich meine Mandanten seit vielen Jahren erfolgreich in allen Angelegenheiten rund ums Erbe und Recht. Nehmen Sie für eine Erstberatung jetzt Kontakt zu mir auf.

Zurück zur Übersicht

Jetzt Beratung anfordern