Wie Pflegeleistungen beim Erben den Pflichtteil beeinflussen

Der Pflichtteil gewährleistet nahen Angehörigen eines Verstorbenen einen Mindestanteil an seinem Nachlass — unabhängig von testamentarischen Verfügungen, etwa ob die Person von der Erbfolge ausgeschlossen wurde. In vielen Fällen betrifft dies die Kinder des Verstorbenen. Doch inwiefern wirkt es sich auf den Pflichtteil aus, wenn ein Kind Pflegeleistungen für den Elternteil erbracht hat? Und was ist, wenn man zu Lebzeiten vergessen hat, eine Pflegevereinbarung zu machen? In diesem Beitrag erfahren Sie, unter anderem anhand eines Urteils vor dem Oberlandesgericht Hamm aus dem Jahre 2020 (10 U 2/19), wie Pflege des Erblassers den Pflichtteil beeinflussen und warum ein Pflegevermächtnis das Risiko von Konflikten minimieren kann.

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Ausgleich für die Pflege des Erblassers (§ 2057a BGB)

Der § 2057a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) regelt die Frage, ob eine Person nach dem Erbfall einen finanziellen Ausgleich gegenüber den Abkömmlingen (Kinder, Enkel, Urenkel usw.) als Miterben oder Pflichtteilsberechtigten des Erblassers beanspruchen kann. Dabei berücksichtigt die Vorschrift die besondere Situation, in der eine Person sich um die Pflege des Erblassers kümmert, ohne dass im Vorfeld eine vertragliche Regelung in Form einer Pflegevereinbarung getroffen wurde.

Gemäß § 2057a BGB kann die pflegende Person nach dem Erbfall einen Ausgleich geltend machen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Eine zentrale Bedingung ist, dass die Pflege in einem engen persönlichen Verhältnis zum Erblasser und auf freiwilliger Basis stattgefunden haben muss. Wichtig ist ebenfalls, dass die Pflege in einem Umfang erfolgte, der die pflegende Person berechtigt, einen angemessenen Ausgleich zu verlangen. Hierbei werden die Dauer, der Umfang und die Intensität der Pflege berücksichtigt.

Die Pflege des Erblassers durch den Pflichtteilsberechtigten kann dazu führen, dass der Pflichtteilsanspruch erhöht wird. Im Gegensatz dazu kann die Pflege des Erblassers durch einen Erben den Wert des Pflichtteils für Pflichtteilsberechtigte reduzieren. Damit wird anerkannt, dass solche Pflegeleistungen einen erheblichen persönlichen Einsatz darstellen und eine angemessene Anerkennung verdienen, insbesondere wenn keine anderweitige Absicherung durch eine vertragliche Regelung erfolgt ist. Es ist jedoch stets zu beachten, dass der Erblasser in seinem Testament eine derartige Ausgleichung aufgrund von Pflegeleistungen einschränken oder ausschließen kann.

Absicherung durch eine Pflegevereinbarung zu Lebzeiten

Die gezielte Absicherung und Vorsorge im Kontext von Pflegeleistungen und Erbrecht spielt eine entscheidende Rolle, um später potenzielle Missverständnisse und Streitigkeiten zu vermeiden. Eine effektive Möglichkeit stellen lebzeitige Pflegevereinbarungen dar, in denen die Bedingungen und Erwartungen im Zusammenhang mit Pflegeleistungen im Testament klar definiert werden können, etwa:

So kann im Bedarfsfall die Pflege durch eine vertraute Person gegen finanzielle Absicherung garantiert werden. Beispielsweise lässt sich in einer Pflegevereinbarung festlegen, dass ein Kind, welches die Eltern gepflegt hat, einen höheren Anteil am Nachlass erhält, was wiederum den Pflichtteil der anderen Abkömmlinge verringern kann.

Ob eine Pflegevereinbarung im Testament oder Erbvertrag oder eine Pflegeverpflichtung in einem Übergabevertrag — eine frühzeitige Einbeziehung eines erfahrenen Anwalts hilft, rechtssichere Regelungen zu treffen, die den Interessen aller Beteiligten gerecht werden.

Urteil des OLG Hamm: Ausgleichszahlung für Pflege zusätzlich zum Alleinerbe?

Im vorliegenden Fall vor dem Oberlandesgericht Hamm geht es um einen Streit um die Pflichtteilsansprüche der verstorbenen Mutter, die drei Kinder hinterließ: den Kläger (Sohn G), den Beklagten (Sohn F) und eine Tochter. Das Testament der Erblasserin vom 31.08.2015 setzte den Beklagten als Alleinerben ihres Vermögens ein.

„Zur Begründung weise ich darauf hin, dass mein Sohn F seit dem Jahr 2007 meine Pflege und Betreuung übernommen hat. […] Er verwaltet darüber hinaus auch das Mehrfamilienhaus und kümmert sich allein um die Grabpflege des Grabes meines verstorbenen Ehemannes. Aus den vorgenannten Gründen sollen die beiden anderen Kinder lediglich ihren Pflichtteil erhalten, wobei ich darauf hinweise, dass mein Sohn G A zur Anrechnung auf den Pflichtteil bereits 10.000 € am 18.11.2010 erhalten hat. […]“

Der Kläger, Sohn G, hat gegen den Beklagten einen Pflichtteil vom Erbe geltend gemacht, den dieser jedoch nur zum Teil zahlte. Einen höheren Betrag wies der beklagte Sohn F aufgrund des ihm zustehenden Ausgleichsanspruchs nach § 2057 a BGB ab. Der Kläger argumentierte, dass die Ausgleichsregelung wegen der Bevorzugung des Beklagten im notariellen Testament hinfällig sei. Des Weiteren sei seine Hilfe im Haushalt der Mutter vergütet worden. Der Beklagte setzte dem entgegen, dass der Wert seiner Pflegeleistungen eine Höhe von 250.000 € betrage und er aufgrund dieser keine berufliche Tätigkeit ausüben konnte. Zudem hätte ihr Mutter den Ausgleichsanspruch nicht ausschließen wollen, da sie dies sonst dem Notar mitgeteilt hätte.

Das Landgericht Siegen entschied, dass der Beklagte keinen Anspruch auf einen Ausgleich habe und seinem Bruder den Pflichtteil zahlen müsse. Die daraufhin eingelegte Berufung des beklagten Sohns F wurde vom OLG Hamm abgewiesen. Die Begründung: Die Pflegeleistung sei durch die Erblasserin bereits mit einem um den Ausgleichsbetrag erhöhten Erbteil belohnt worden, indem sie den Beklagten für Pflege- und andere Hilfeleistungen zum Alleinerben gemacht hat, während seine Geschwister nur einen Pflichtteil bekommen sollten. Anzunehmen, dass sie den Pflichtteil des Sohn G und der Schwester darüber hinaus für einen Ausgleich verringern wollte, erscheint lebensfern.

Aus dem Testament der Erblasserin ließe sich der Wille herauslesen, dass kein Ausgleich der Pflege angedacht war, auch wenn dies nicht explizit formuliert worden war. Schließlich gilt es gemäß § 133 BGB herauszufinden, was durch das Testament zum Ausdruck gebracht werden wollte und was der tatsächliche Wille der Erblasser ist, statt die rein buchstäbliche Bedeutung des Ausdrucks zu berücksichtigen.
Ein Kürzungsrecht stehe dem Beklagten somit nicht zu und der Pflichtteilsanspruch des Klägers müsse gewährt werden.

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Es ist ratsam, im Testament mittels einer Pflegevereinbarung vorsorglich festzulegen, ob die erbrachte Pflegeleistung eines Kindes gemäß gesetzlicher Vorgaben ausgeglichen werden soll oder nicht. Wenn die Erblasserin den Pflichtteil der enterbten Kinder so gering wie möglich hätte halten wollen, hätte die Klarstellung ergänzt werden können, dass die Rechte des Alleinerben nach § 2057a BGB weiterhin gelten und ihm somit darüber hinaus eine Ausgleichszahlung für die Pflegeleistungen der Erblasserin zusteht. Auch weitere Punkte — etwa, ob der pflegende Abkömmling bereits zu Lebzeiten eine angemessene Vergütung für die Pflege erhalten soll — können in der Pflegevereinbarung definiert werden.

Vermeiden Sie diese und weitere Fallstricke, die später Unsicherheiten verursachen können und Spielraum in der Interpretation bei der Testamentsauslegung lassen, durch eine rechtliche Testamentsberatung. Als kompetenter Anwalt für Erbrecht in Berlin stehe ich Ihnen bei allen Erbangelegenheiten, wie der Errichtung Ihres Testaments, zur Seite. Treten Sie jetzt mit meiner Kanzlei in Kontakt, um Ihre Nachlassangelegenheiten rechtssicher und entsprechend Ihrer individuellen Vorstellungen und Umstände zu gestalten.

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