Bestellung eines Nachlasspflegers bei unklarer Erbfolge

Gibt es bei einer Erbangelegenheit Unklarheiten bezüglich der Erbfolge — das heißt, sind die rechtmäßigen Erben des Verstorbenen unbekannt — so wird vom zuständigen Nachlassgericht eine Nachlasspflegschaft angeordnet. Wurde im selben Fall jedoch im Vorfeld bereits ein Erbschein erstellt, kommt dies in der Regel nicht zum Tragen, da der endgültige Erbe nicht als unbekannt gilt. Kommt es per Beschluss dennoch zur Nachlasspflegschaft, ist die Voraussetzung hierfür die Einziehung des vorher ausgestellten Erbscheins. Dafür müssen jedoch begründete Zweifel an dessen Richtigkeit bestehen, denn die Bestellung des Nachlasspflegers ist zwingend daran gekoppelt, dass der endgültige Erbe nicht eindeutig festgestellt werden kann.

OLG München 2020: Beschwerde gegen Nachlasspfleger-Bestellung

Dem vorliegenden Fall liegt ein Testament vom 05.10.2017 zugrunde. Auf dessen Basis wurde vom Amtsgericht Traunstein — dem hier zuständigen Nachlassgericht — den darin genannten Erben am 07.08.2018 ein Erbschein ausgestellt. Folgend darauf wurden von den Töchtern des Verstorbenen aus dessen geschiedener Ehe Zweifel an der Eigenhändigkeit des Testaments angemeldet. Das Gericht hatte daraufhin einerseits ein Sachverständigen-Gutachten zur Klärung der Frage eingeholt, sowie außerdem — und zwar bereits vor der Vorlage des Gutachtens am 16.09.2019 — eine Nachlasspflegschaft angeordnet. Gegen die Bestellung des Nachlasspflegers und die damit einhergehende Einziehung des Erbscheins wurde von einem der beiden darin genannten Erben Beschwerde eingelegt.

OLG hebt Entscheidung des Nachlassgerichts in zweiter Instanz auf

Mit seiner Entscheidung vom 18.06.2020 (Aktenzeichen 31 Wx 553/19) gab der 31. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München der eingelegten Beschwerde des genannten Erben statt. Damit wurde der Beschluss des Amtsgerichts Traunstein über die Einziehung des Erbscheins und die Bestellung des Nachlasspflegers aufgehoben.

In seiner Begründung führte das Beschwerdegericht an, dass es keine hinlänglich begründeten Zweifel an der Richtigkeit des ausgestellten Erbscheins habe und damit keine Grundlage für die Anordnung der Nachlasspflege bestünde. Das vom Nachlassgericht eingeholte Gutachten zur Eigenhändigkeit des Testaments kam zu dem Ergebnis, dass sowohl der textliche Inhalt als auch die Unterschrift der Verfügung “mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vom Erblasser stammen”. Somit bestünden keine nennenswerten Zweifel an der Urheberschaft der Urkunde.

Weiterhin war von den im Testament nicht bedachten Töchtern des Erblassers aus dessen geschiedener Ehe geschildert worden, dass dieser zum Zeitpunkt der Testamentserstellung “gesundheitlich bereits sehr angeschlagen“ gewesen sei. Auch diese pauschalen Ausführungen lieferten keine ausreichenden Zweifel an der Testierfähigkeit des Erblassers, die eine Einziehung des Erbscheins rechtfertigen würden, so das OLG im weiteren Verlauf der Urteilsbegründung.

Nachlasspflegschaft: Voraussetzungen für die Einsetzung

Es wird in der Urteilsbegründung des hier besprochenen Falls mehrfach hervorgehoben und ist auch im Erbrecht fest verankert (§ 1960, Abs.1, S.2 BGB): Die Grundvoraussetzung für die Anordnung einer Nachlasspflegschaft ist, dass der rechtmäßige Erbe nicht zu ermitteln ist, oder es unklar ist, ob er die Erbschaft angenommen hat. Als unbekannt kann ein Erbe auch dann gelten, wenn die Richtigkeit des ihm ausgestellten Erbscheins nach Ansicht des Gerichts nicht (mehr) gegeben ist, und dieser daher eingezogen werden muss. Hierfür sind jedoch einfache Zweifel oder Unklarheiten nicht ausreichend. Stattdessen muss die Überzeugung des Gerichts von der Richtigkeit des Erbscheins soweit zerstört sein, dass dies eine Einziehung des Erbscheins bzw. die Bestellung des Nachlasspflegers rechtfertigt.

Keine Einziehung des Erbscheins ohne konkrete Anhaltspunkte

Im hier vorliegenden Fall hatte das Beschwerdegericht also grundsätzlich zu entscheiden, inwieweit seine Überzeugung von der Richtigkeit des Erbscheins erschüttert wurde. In diesem Zuge hatte es zwei Kernfragen zu beantworten:

Die Eigenhändigkeit konnte hier mithilfe des vom Nachlassgericht eingeholten, psychologischen Gutachtens “mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen” nachgewiesen werden.

Für eine genaue Untersuchung der Testierfähigkeit des Erblassers lagen dem OLG keine hinlänglich konkreten Anhaltspunkte vor. Es gilt in solchen Fällen der Grundsatz, dass lediglich ein hohes Alter des Erblassers oder pauschale Aussagen von Beteiligten in diesem Zusammenhang nicht ausreichen. In diesem Fall hatte die Tochter des Erblassers angeführt, dass dieser zum Zeitpunkt der Testamentserstellung bereits nicht mehr in der Lage gewesen wäre, Verrichtungen des täglichen Lebens allein zu bewältigen. Unter Berücksichtigung des genannten Grundsatzes wurde dies vom Gericht nicht als konkreter Anhaltspunkt gewertet, der die Einholung eines Gutachtens über die Frage oder die Bestellung eines Nachlasspflegers rechtfertige.

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