Mehrere Testamente – welches ist wirksam?

Wenn ein Erblasser im Laufe seines Lebens mehrere Testamente verfasst, stellt sich oft die Frage: Welches Testament ist gültig? Diese Konstellation ist in der Praxis keine Seltenheit – insbesondere dann, wenn frühere Testamente nicht ausdrücklich widerrufen wurden.

Es gibt viele Gründe, warum ein Mensch im Laufe der Zeit mehrere Testamente errichtet: Änderungen in den familiären Verhältnissen (z. B. Scheidung, Wiederverheiratung oder Geburt von Kindern), ein Zerwürfnis mit bestimmten Erben, neue Vermögensverhältnisse oder auch schlicht ein Sinneswandel in Bezug auf die gewünschte Erbfolge. Manchmal entstehen mehrere Testamente auch aus Unkenntnis darüber, dass ältere Dokumente nicht automatisch durch ein neues Testament ersetzt werden, wenn kein eindeutiger Widerruf erfolgt.

Für die Erben kann das schnell zu Unklarheiten, Streit oder sogar zu gerichtlichen Auseinandersetzungen führen. Was gilt, wenn mehrere Testamente nebeneinander existieren? Wir beleuchten hier die Rechtslage und stellen ein Urteil des OLG Rostock aus dem Jahr 2021 vor.

Stapel Dokumente und Brille auf Schreibtisch

Allgemeine Rechtslage: Zwei Testamente — welches gilt?

Im deutschen Erbrecht gilt grundsätzlich: Wenn zwei Testamente existieren, die inhaltlich voneinander abweichen, hebt das zeitlich zuletzt errichtete Testament alle früheren auf (§ 2258 BGB) — es sei denn, es ist aus formalen oder inhaltlichen Gründen nicht wirksam. Entscheidend ist daher nicht nur der Inhalt, sondern vor allem auch das Datum, an dem die jeweiligen Testamente verfasst wurden. Doch nicht immer ist die Rechtslage so eindeutig, wie es scheint.

Mehrere Testamente müssen jedoch nicht zwangsläufig zu Konflikten führen – etwa dann, wenn sie sinnvoll aufeinander aufbauen. So kann ein Erblasser beispielsweise in einem ersten Testament seine Erben festlegen und später in einem weiteren Testament zusätzlich ein Vermächtnis zugunsten einer bestimmten Person anordnen. Besteht zwischen den Inhalten kein Widerspruch, können beide Testamente nebeneinander bestehen und gemeinsam den letzten Willen des Erblassers abbilden.

Erblassern steht es zudem grundsätzlich frei, mehrere inhaltsgleiche Testamente zu errichten und an verschiedenen Orten aufzubewahren. Dies kann insbesondere dann hilfreich sein, wenn der Erblasser sicherstellen möchte, dass zumindest eine Ausfertigung im Todesfall aufgefunden wird und der erklärte Wille Beachtung findet. Entscheidend bleibt dabei, dass alle Testamente formwirksam errichtet wurden (siehe „Formerfordernis eines Testaments“).

Widerrufstestament

Ein Testament kann durch ein später errichtetes Widerrufstestament ausdrücklich aufgehoben werden. Es tritt dann wieder die gesetzliche Erbfolge ein. In der Praxis existieren dann oft mehrere Testamente nebeneinander – das frühere mit inhaltlichen Regelungen, das spätere als reines Widerrufsdokument. Wird jedoch auch dieses Widerrufstestament erneut widerrufen, kann das ursprüngliche Testament grundsätzlich wieder aufleben – sofern der Wille des Erblassers eindeutig erkennbar ist und keine anderen letztwilligen Verfügungen entgegenstehen.

Welches mehrerer Testamente ist gültig bei fehlender Datierung?

Wenn beide Testamente kein Datum tragen, erschwert das die Prüfung, welche Verfügung zeitlich zuletzt verfasst wurde. In solchen Fällen müssen Indizien herangezogen werden – etwa Hinweise im Text, Papierqualität, Tinte oder äußere Umstände. Lässt sich trotz intensiver Prüfung nicht feststellen, welches der sich widersprechenden Testamente zuletzt erstellt wurde, geht der Erblasser das Risiko ein, dass beide Testamente für ungültig erklärt werden und die gesetzliche Erbfolge zum Tragen kommt. Unter gewissen Umständen muss ein Gericht die Auslegung übernehmen, was den tatsächlichen Willen des Erblassers besser wiedergibt. Entscheidend ist dabei etwa, welches Testament inhaltlich klarer formuliert wurde und ob äußere Umstände für eine bestimmte Erbfolge sprechen.

Enthält nur eines der Testamente kein Datum, gilt in der Regel das datierte Testament.

Urteilsbesprechung OLG Rostock: Zwei Testamente mit gleichem Datum

Justizpalast München

Ein konkreter Fall zur Problematik mehrerer Testamente wurde vom OLG Rostock (Az. 3 W 52/21) am 30.11.2021 entschieden. Hier verstarb der Erblasser im Jahr 2018 und hinterließ ein Hausgrundstück sowie mehrere Abkömmlinge, darunter zwei Töchter, einen Sohn und Enkelkinder. Im Nachlassverfahren traten zwei eigenhändig geschriebene Testamente vom selben Tag (04.07.2012) zutage – eines auf kariertem, das andere auf liniertem Papier. Besonders im Fokus stand ein Nießbrauchsrecht zugunsten einer Tochter, das nur in einem der Testamente enthalten war.

Inhalt und Form der Testamente

Beide Testamente waren formgültig, jeweils eigenhändig verfasst und unterschrieben. Sie setzten übereinstimmend eine der Töchter sowie den Sohn als Erben ein. Der Lebensgefährtin des Erblassers wurde ein lebenslanges Wohnrecht am Hausgrundstück vermacht. Zudem ist in beiden Verfügungen ein Geldvermächtnis über 2.000 € zugunsten des Enkelsohns vorgesehen.

Unterschiede bestanden jedoch im Detail: Während das karierte Testament der Tochter zusätzlich ein Nießbrauchsrecht am Hausgrundstück einräumte, fehlte diese Regelung im linierten Testament. Da beide Schriftstücke dasselbe Datum tragen, ließ sich nicht ohne Weiteres feststellen, welche Fassung die spätere war.

Streit über die Wirksamkeit der Testamente

Die Beteiligten stritten darüber, welches der beiden Testamente als das zeitlich jüngere und damit maßgebliche anzusehen sei. Die begünstigte Tochter argumentierte, das karierte Testament sei das spätere, da es vom Erblasser in einem Hefter mit wichtigen Dokumenten abgelegt worden sei. Es sei nach dem maschinenschriftlichen Entwurf einer Rechtsanwältin entstanden und auf das frühere linierte Testament aufgebaut worden, das daher lediglich einen Entwurf darstelle.

Dem hielt der begünstigte Sohn entgegen, dass der Ablageort nicht entscheidend sei. Nach Angaben der Lebensgefährtin habe der Erblasser nach anwaltlicher Beratung das linierte Testament als endgültig angesehen und es in einem weißen Umschlag mit der Aufschrift „Testament“ verwahrt. Der Sohn hatte zunächst – im Wissen nur um das karierte Testament – die Erbschaft ausgeschlagen, focht die Ausschlagung jedoch nach Auffinden des linierten Testaments wegen eines Irrtums über die Belastungen des Nachlasses gemäß § 119 Abs. 2 BGB an.

Entscheidung des Gerichts und Begründung

Das OLG Rostock entschied, dass nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden konnte, welches der beiden Testamente das spätere sei. In solchen Fällen gelten beide Verfügungen als gleichzeitig errichtet. Widersprechen sich einzelne Regelungen – wie hier das Nießbrauchsvermächtnis zugunsten der Tochter – so sind diese widersprüchlichen Teile unwirksam. Da das Nießbrauchsrecht nur im karierten Testament enthalten war, wurde es für unbeachtlich erklärt.

Das Gericht betonte, dass dem Fundort des karierten Testaments keine entscheidende Bedeutung zukomme. Es könne sich ebenso um einen dort abgelegten Entwurf gehandelt haben. Zudem war nicht zweifelsfrei geklärt, ob das Schriftstück eingeheftet oder lose im Hefter gelegen hatte. Auch die getrennte Verwahrung des linierten Testaments in einem Umschlag ließ keinen sicheren Schluss auf dessen zeitliche Einordnung zu. Das äußere Erscheinungsbild – deutlich leserlichere Handschrift und geringere Fehlerzahl – spreche jedoch eher dafür, dass das linierte Testament später und mit größerer Sorgfalt verfasst worden sei.

Schließlich stellte das Gericht klar, dass die Erbausschlagung des Sohnes unwirksam war. Sie beruhte auf einem Irrtum über den maßgeblichen Berufungsgrund, da ihm zum Zeitpunkt der Ausschlagung das zweite Testament nicht bekannt war. Die Anfechtung war daher wirksam, und das Nachlassgericht wurde angewiesen, einen gemeinschaftlichen Erbschein zugunsten von Tochter und Sohn zu erteilen.

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Jürgen Pillig und KlientinDas Urteil des OLG Rostock macht deutlich: Wer bei der Testamentserstellung oder im Erbfall auf rechtliche Laienkenntnisse oder scheinbare Äußerlichkeiten vertraut, riskiert folgenschwere Fehler. Eine fundierte anwaltliche Beratung schützt vor Streit, Unsicherheiten – und kostspieligen Verfahren.
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